Es gibt wohl keine zwei schwulen Menschen, die ihr Coming out auf dieselbe Weise praktiziert haben. Glücklich sind diejenigen, die die ganz natürlich in ihre Homosexualität hineingewachsen sind.
Andere müssen sich sammeln, sich vorbereiten, um zu ihrem Schwulsein stehen zu können, was oft genug Jahre in Anspruch nimmt. Einige werden vom Umfeld enttarnt, müssen zugeben schwul zu sein, so wie ein Straftäter vor Gericht, der mit Beweisen überschüttet wird.
Und dann gibt es die nicht gerade kleine Gruppe von Schwulen, für die der große Moment des Coming out niemals wirklich kommt.
Coming out – Alter sinkt
Schwule Menschen mögen im Vergleich zu Hetero-Paaren in Bezug auf die Ehe quasi gleichberechtigt sein, aber nur auf dem Papier. Liberale Gesetze garantieren nicht, dass Freunde, Arbeitskollegen, die Nachbarn und die Familie positiv auf ein Coming out reagieren.
In der Tat können die Reaktionen auf das Bekennen zur Homosexualität äußerst unterschiedlich sein. Dies ist in der Regel vom sozialen Umfeld abhängig und von der Region, in der der betroffene Mensch lebt.
Die Experten von Datingroo meinen, dass ein Coming out im ländlichen Bereich eher schwierig ist und in größeren Städten generell positiver aufgenommen wird, wobei es löbliche Ausnahmen gibt.
Stonewall, die Wohltätigkeitsorganisation für LGBTQ-Rechte hat ermittelt, dass in den vergangenen vier Jahrzehnten das Durchschnittsalter für ein Coming out stetig gesunken ist. Inzwischen liegt dieses bei rund 19 Jahren. So positiv dieser Trend auch ist, er wirkt einschüchternd auf diejenigen, die deutlich älter sind. Wer seinen 50. oder 60. Geburtstag bereits gefeiert hat, erhält den Eindruck, dass es für ein Coming out zu spät ist.
Ausbruch aus der Norm – Weg in die eigene Befreiung
Befinden sich Schwule in ihren Vierzigern, Fünfzigern oder Sechzigern, leben sie oftmals in einer langfristigen heterosexuellen Beziehung. Sie haben Kinder, die oftmals bereits verheiratet sind und eigene Kinder haben. Diese Menschen fühlen sich zumeist seelisch und körperlich unwohl, wenn sie in Schwulenclubs gehen oder in einen queeren Kreis geraten sind.
Fast immer sind sie eng in die Familie und den Freundeskreis eingebunden. Und obendrein haben sie sich über Jahrzehnte selbst davon überzeugt, dass sie sich auf einem Hetero-Lebensweg befinden. Im Prinzip haben sie sich in eine Schublade gesteckt, lassen sich keinen Raum, um von den eigenen Richtlinien abzuweichen. Diese Faktoren beunruhigen, verhindern ein Coming out und erfordern eine gewaltige Selbstüberwindung, es schlussendlich doch zu tun.
Die realen Ängste vor dem späten Coming Out
Die Forschung stützt die Vorstellung, dass die soziale und kulturelle Unterstützung zu einem immer früheren Coming out geführt haben. Aber dies ist sicherlich nicht die übergeordnete Regel. Tatsächlich bekennen sich viele LGBTQ nicht in der Kindheit, Jugend oder im frühen Erwachsenenalter zu ihrer Homosexualität, sondern erst viel später. Manchmal sehr viel später, wie im Fall von Pat Henschel und Terry Donahue. Über dieses lesbische Paar ist eine sehenswerte Dokumentation bei Netflix eingestellt; A Secret Love. Das Coming Out der beiden geschah Ende der 1980er Jahre, nachdem das Paar heimlich mehr als 65 Jahre zusammen war.
Es gibt eine ganze Reihe von pragmatischen Gründen, warum ein Coming out zeitlich so weit nach hinten verschoben wird. Die Angst vor Ablehnung ist sehr real. Die Menschen fürchten sich davor, von ihren Lieben verlassen zu werden, die Sicherheit ihres Umfeldes zu verlieren. Einige warten, weil sie befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren – oder noch schlimmer, das Sorgerecht für ihre Kinder. Und diese Ängste sind real, denn trotz liberaler Gesetze kommt es immer wieder zu Kündigungen, unmittelbar nach einem späten Coming out.
Vertrauen und Verständnis finden
Im Sprachgebrauch wird Coming out in der Regel so verwendet, als wäre es eine einmalige Tortur, die vollbracht, schnell beendet ist. Dass dies so nicht richtig ist, beweisen tausende von anders verlaufenden Fällen. Wichtig ist, vor einem Coming out Selbstvertrauen zu finden und soweit irgend möglich, einen Partner an der Seite.
Es muss keine Liebesbeziehung sein. Ein guter Freund, möglichst jemand, der diese Situation selbst erlebt hat, ist oftmals vorteilhafter. Wer aber in einer heteronormativen Welt eingebunden ist, der hat oftmals große Schwierigkeiten, einen solchen Menschen zu finden.
Eine Lösung ist Online Dating. Um anonym zu bleiben, aber trotzdem Gleichgesinnte außerhalb von Schwulenclubs treffen zu können, ist der Chat via Internet eine gute und praktikable Lösung. Nicht selten bilden sich Freundschaften, manchmal Beziehungen, die dann in der realen Welt weitergeführt werden. Genau diese vermitteln das Selbstbewusstsein und die Kraft, die für ein spätes Coming out notwendig sind.
7 Tipps für ein spätes Coming out
Es gibt kein „richtiges Alter“ für ein Coming out. Und es gibt keinen „richtigen Weg“ dafür. Aber es gibt einige Tipps, wie ein Coming out gestaltet sein kann.
- Fehlt Ihnen die Kraft oder Sie sehnen sich nach einer Hilfe an Ihrer Seite, suchen Sie sich per Online Dating eine Bezugsperson, eine Freundschaft, eine Liebe. Über Dating-Apps erkunden Sie Ihre eigene Attraktivität ebenso, wie Ihre Sexualität. Sie finden leicht Menschen, mit denen Sie über Ihre Situation diskutieren können und die wissen, worüber Sie sprechen.
- Seien Sie bereit, Fragen offen und ehrlich zu beantworten. Insbesondere Kinder stellen oftmals unverblümte Fragen, die sich meist auf den Alltag beziehen. Sie wollen wissen, was Ihr Coming out, diese für sie neue Situation für ihr Leben bedeutet; wie zukünftig Weihnachten oder der Geburtstag gefeiert wird.
- Seien Sie nicht überrascht, wenn Ihre Lieben bereits von Ihrer Homosexualität wissen. Selbst wenn Sie überaus vorsichtig und umsichtig waren, oftmals können Sie Ihre queere Sexualität nicht vollständig verbergen.
- Bereiten Sie sich darauf vor, Freunde zu verlieren, aber auch darauf, neue zu gewinnen. Queere Freundschaften sind in jedem Alter von entscheidender Bedeutung, aber vielleicht besonders für diejenigen, die später im Leben ihr Coming out haben. Durch diese neuen Beziehungen kann eine Person von anderen lernen und tiefe Verbindungen erfahren.
- Suchen Sie den Kontakt zu Ihrer lokalen LGBTQ–Community. Dort treffen Sie Menschen aus Ihrer Umgebung, die manchmal auch auf ganz pragmatische Weise eine Hilfe sein können.
- Suchen Sie nach Geschichten darüber, wie Menschen ihr spätes Coming out vollzogen haben. Profitieren Sie von der Erfahrung anderer, ohne diese zu kopieren. Ihr eigenes Coming out müssen Sie selbst gestalten. Aber die Geschichten Ihrer Vorgänger sind oft eine gute Inspiration und Kraftquelle. Auch hier sind Dating Apps eine gute Fundgrube.