Gewalt gegen Frauen ist eine der meistverbreiteten Verletzungen der Menschenrechte. Um dieses weltweite Phänomen zu bekämpfen, rufen Menschenrechts-organisationen seit dem 25. November 1981 jährlich zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen auf. eDarling führte aus diesem Anlass ein Interview mit Psychologin Dr. Wiebke Neberich zum Thema „Gewalt gegen Frauen in einer Partnerschaft“.
Gewalt gilt als ein komplexes und diffuses Phänomen, für welches bis heute keine eindeutige wissenschaftliche Definition vorliegt. Gründe dafür sind beispielsweise unterschiedliche kulturelle Einflüsse oder Moralkodizes. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den Begriff als „…absichtlichen Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physi-scher Macht gegen die eigene oder eine andere Person, (…) der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“3
Gewalt als diffuser Begriff
So verschieden wie die Definitionen des Terminus, sind auch die Formen der Gewalt gegen Frauen. „Allgemein differenziert man zwischen psychischer und körperlicher Gewalt“, erläutert Dr. Neberich. „Insbesondere psychische Gewalt lässt sich schwer abgrenzen – wo hört ein Streit zwischen Liebenden auf und wo fängt Misshandlung an?“ Erfolgt eine Tat intendiert und wird die Würde des anderen nicht respektiert, kann laut der Expertin von Gewalt gesprochen werden. Neberich betont jedoch, dass die Definition in einer Grauzone liegt.
Gewalt gegen Frauen als globales Problem
Die Mitgliedsstaaten des Europarats unterzeichneten 2011 eine Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. In der Präambel wird dies unter anderem wie folgt begründet: „…in der Erkenntnis, dass häusliche Gewalt Frauen unverhältnismäßig stark betrifft.“4 Die Ursachen für die überwiegend weiblichen Betroffenen sind vielfältig. Laut Dr. Neberich, spielt häufig eine Mischung aus Hormonen und soziologischer Prägung eine Rolle. „Testosteron ist ein Hormon, das im Durchschnitt bei Männern in größerem Ausmaß vorhanden ist. Es steigert das Macht- und Kampfbedürfnis. Dazu kommt häufig eine überlegene Körperkonstiution und ein evolutionär geprägtes Rollenbild, das Männer als dominante Beschützer klassifiziert. Letzteres findet sich in traditionelleren Ländern bis heute in der Sozialisation.“
Gewalt gegen Frauen in einer Partnerschaft
Die Präambel der EU-Konvention erkennt zudem die Tatsache an, „dass Gewalt gegen Frauen der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ist, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann und zur Verhinderung der vollständigen Gleichstellung der Frau geführt haben.“5 In Partnerschaften spielen, neben der historischen Entwicklung, weit komplexere Vorgänge eine tragende Rolle. Viele Frauen verlassen ihren Mann nicht, obwohl sie konstant physischen oder psychischen Misshandlungen ausgesetzt sind. Insbesondere in den Industrienationen ist dieses Verhalten als Paradoxon anzusehen. Hier wird die Gleichstellungsthematik bis in die Führungsetagen thematisiert und zahlreiche Organisationen bieten Betroffenen Hilfe und Unterstützung an. Dennoch gehört häusliche Gewalt gegen Frauen zum Alltag.
Psychologische Mechanismen
Die Bindungstheorie kann einige Erklärungsansätze für dieses Verhalten liefern. Dr. Neberich erörtert: „Ein Ansatz besagt, dass es Frauen, die ein negatives Selbstbild haben, schwerer fällt sich aus solchen Beziehungen zu lösen, da das negative Selbstbild bestätigt wird. In Gewaltbeziehungen untergräbt der Täter systematisch und kontinuierlich das Selbstwertgefühl der Frau und löst somit eine Art Teufelskreis aus.“ Ein weiteres Muster, das auch bei misshandelten Kindern auftritt, ist die bedingungslose Verteidigung der Bindungsperson – auch wenn diese gewalttätig ist. „Ein anderer psychologischer Mechanismus, der es ungemein erschwert, die Beziehung zu verlassen, ist die intermittierende Verstärkung. Dieser Lernprozess ist von allen Lernprozessen am löschungsresistentesten“, ergänzt die Psychologin. Die entsprechende Konditionierung erfolgt über unregelmäßige und oft unberechenbare Belohnungen. Eine gewalttätige Beziehung wird beispielsweise von Zeit zu Zeit durch schöne Momente unterbrochen, in denen der gewalttätige Mann sich entschuldigt und Besserung gelobt. „Dadurch wird in der Frau eine Hoffnung erzeugt, dass sich doch alles zum Guten wenden könne. Diese Hoffnung macht es vielen unheimlich schwer, einen Schlussstrich zu ziehen. Der Beziehungsalltag wird – bildlich gesprochen – zu einer Art Glücksspiel, bei dem die Frau sich zunehmend hilflos und ohnmächtig fühlt.“, erläutert Neberich.
Den Teufelskreis durchbrechen
Isoliert der Mann zudem seine Frau vom Freundeskreis oder hindert sie an der Ausübung von Interessen und Hobbys, vergrößert sich die Abhängigkeit. Ein Ausbruch aus der Beziehung wird dann immer schwieriger. Betroffene, die sich für einen Ausstieg entscheiden, sind häufig auf professionelle Unterstützung angewiesen. „Psychologische Beratung, die aufklärt, ist dann wirklich ratsam. Hier arbeitet man konkret mit den betroffenen Frauen und erarbeitet Lösungsansätze, wie man sich Stück für Stück aus dem Teufelskreis befreien kann“, so Dr. Neberich.
Das Recht auf ein gewaltfreies Leben
Artikel 3 der Menschenrechte besagt: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“6 Frauen auf der ganzen Welt haben das Recht, respektvoll und gleichberechtigt behandelt zu werden. Diese Vorgabe wird durch internationale Konventionen und Bestimmungen gesichert. Ein abschließendes Zitat von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon betont: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein globales Problem. Es schadet Familien, Gemeinden und der Gesellschaft. Wir können es nur stoppen, in dem wir gemeinsam dagegen vorgehen – Männer und Frauen.“7
Kennen Sie Menschen, die bereits Erfahrungen mit Gewalt in einer Beziehung gemacht haben? Konnten Sie ihnen helfen?
Quellen:
1 UN Woman: Say NO- UNiTE, http://saynotoviolence.org/issue.
2 UN Woman: UN Entity for Gender Equality and the Empowerment of woman, http://www.unifem.org/gender_issues/violence_against_women/.
3 Weltgesundheitsorganisation: Weltbericht Gewalt und Gesundheit, http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/world_report/en/summary_ge.pdf, 2003.
4+5 Council of Europe: Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/convention-violence/texts/Convention%20210%20German%20version%20&%20explanatory%20report.pdf, 2011.
6 UN Department for General Assembly and Conference Management, German Translation Service: Alle 30 Artikel der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, http://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte, 2009.
7 UN Secretary-General on the Role of Youth in Ending Violence against Women, http://www.youtube.com/watch?v=SRSnrSRHcYk&feature=channel_video_title, 2011.