Ingrid Löbner: „Junge Eltern sind meistens eher verunsichert.“

Ingrid Löbner ist Diplompädagogin und arbeitet für pro familia in Tübingen. Im Interview spricht sie über das Thema Elternschaft.

Ingrid Löbner ist Diplompädagogin der Einrichtung pro familia in Tübingen. Im Interview gibt sie hilfreiche Tipps und Tricks zum Thema Elternschaft.

Frau Löbner, könnten Sie kurz die Einrichtung pro familia und Ihre Tätigkeit dort vorstellen?

Wir sind seit 1952 als ein von Kirchen und Parteien unabhängiger Fach- und Beratungsverband tätig. pro familia ist ein Mitgliedsverein: Auf Antrag kann jeder in Orts- und Kreisverbänden Mitglied werden. Unser Arbeitsschwerpunkt liegt in der Beratung, die Beratungsstellen sind nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz anerkannt.

Zudem nehmen wir als Fachverband Stellung zu politischen Entscheidungsprozessen, die die fachliche Kompetenz unserer Arbeit betreffen. Bei pro familia arbeiten ÄrztInnen, PsychologInnen und PädagogInnen nach fachlichen Kriterien. Zu unseren Betreuungsangeboten gehören unter anderem Schwangerschaftskonfliktberatung, Familienplanung, Beratung für Eltern mit Säuglingen sowie Partnerschaft-, Trennungs- und Scheidungsberatung. Pro familia bietet darüber hinaus Online-Beratung an unter: www.sextra.de.

Welche Veränderungen bringt die Geburt des ersten Kindes für die Beziehung mit sich?

Die größte Veränderung ist: Das Paar ist nicht mehr zu zweit, sondern es geht nun immer auch um das Kind. Selbst wenn die Eltern einen Babysitter engagieren oder das Kind früh in Betreuung geben – es bleibt für das Paar: Sie sind nicht mehr allein, sondern sie haben immer das Kind (wenn gerade in Betreuung, dann in Ihren Gedanken) mit dabei, sind innerlich und äußerlich für es zuständig.

Allein diese Tatsache in das eigene Lebensgefühl aufzunehmen, kann für die Frau, den Mann, das Paar, eine Zeit lang dauern, kann manchmal auch richtig schwierig erlebt werden.

Ich halte diesen Umstand, dass das Paar durch das Elternwerden für mindestens 18 Jahre im Lebensalltag und Lebensgefühl dauernde Mitverantwortung für einen Menschen trägt, für eine der größten Umstellungen im Leben überhaupt.

Dazu kommt in unserer modernen Lebensweise, dass keine traditionellen Vorgaben von Rollenzuschreibungen mehr gelten, sondern jedes Paar heute individuell aushandeln muss, wie der Alltag mit Kind gelebt werden soll. Wer bleibt zuhause, wer macht wann was im Beruf oder im Leben mit dem Kind? Dieses Aushandeln braucht Gesprächsbereitschaft und auch Konfliktfähigkeit zwischen Frau und Mann – beides ist nicht immer selbstverständlich gut gegeben, kann nicht von jedem Paar stabil gelebt werden.

Zusätzlich erwartet die moderne Berufswelt hohe räumliche und zeitliche Flexibilität von jedem, der eine Arbeitsstelle hat und in ihr etwas werden will (was gerade in der Zeit, in der junge Menschen auch Kinder bekommen, meistens eine wichtige Option ist).

Das sind Anforderungen, die einem Familienleben nicht selten diametral entgegenstehen und die das Paar – wollen sich beide beruflich stabil verankern – vor Zerreißproben und Kompromissfindungen stellen.

Oft müssen junge Paare auch eine Arbeitsstelle annehmen, die sich weit weg von der eigenen Herkunftsfamilie befindet. Das hat den Nebeneffekt, dass das unterstützende System der eigenen Familie bei der Betreuung kleiner Kinder nicht zur Verfügung steht. Bei der Betreuung kleiner Kinder wäre dieses jedoch dringend hilfreich.

So steht das Paar – beruflich und in seiner Zweisamkeit – vor hohen, verunsichernden Anforderungen und hat gleichzeitig wenig stützende Systeme um sich herum, lebt nicht selten zunächst in gewisser sozialer Einsamkeit, die häufig quälend erlebt wird.

Zusätzlich sind junge Eltern meistens eher verunsichert, was ein kleines Kind braucht, ist doch das eigene Kind in der Regel das allererste Baby, das sie längere Zeit versorgen müssen. In ihrer Not lesen Eltern unzählige Baby- und Erziehungs-Fachbücher, bekommen widersprüchliche Aussagen, wollen alles „richtig“ machen und sind zuallererst unsicher, manchmal ganz durcheinander.

Da das Kind durch Schwangerschaft, Geburt und anschließendes Stillen (was allgemein für die körperliche und psychische Gesundheit des Kindes sehr empfohlen wird) in den ersten Monaten häufig enger an die Mutter gebunden bleibt, bestehen für beide Elternteile spezielle Beziehungskonstellationen, die für die Paarbeziehungen zusätzlich schwierig sein können:

Traditionelle Rollenmuster können eben nicht mehr gelebt und angenommen werden. Viele Väter wollen sich mehr einbringen, können aber nicht stillen – womit sich eben doch allzu oft konstelliert, dass die Frau die Hauptaufgaben in den ersten Monaten übernimmt. Dies führt häufig zu Konfliktstoff zwischen jungen Paaren, besonders bei der Frage wie ein Leben mit Kind als moderne Familie aussehen sollte.

In meiner Beratungs- Praxis erlebe ich Paare mit kleinen Kindern bezüglich aller genannten Konfliktfelder häufig in großem Stress.

Wie können sich werdende Eltern auf die Ankunft ihres Kindes vorbereiten?

Für eine gute Vorbereitung halte ich, Erfahrungen mit kleinen Kindern zu sammeln. Wer schon konkret erlebt hat, was es bedeutet, Säuglinge und Kleinkinder über längere Zeit zu versorgen, hat realistische Vorstellungen, was es heißt, rundum für ein Baby zuständig zu sein.

Wer erlebt hat, was dabei geht, was auch nicht geht, der hat mehr Übung und mehr Sicherheit mit ganz konkreten Organisations- und Alltagsstrategien, aber auch im eigenen Gefühl sowie bezüglich der eigenen Intuition. Insofern wäre die beste Vorbereitung, junge Menschen hätten vor der eigenen Elternschaft anderen Eltern längere Zeit in der Versorgung kleiner Kinder, z.B. durch intensive Babysitterjobs, geholfen.

Gut wäre auch, in der Schule ein Unterrichtsfach einzuführen, das auf die Anforderungen als Paar und Eltern in modernen Zeiten vorbereitet und das Grundkenntnisse über die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern vermittelt, wie diese angemessen zu versorgen sind.

Nicht zuletzt sind Kurse zu nennen, die in Familienbildungsstätten, in Volkshochschulen und weiteren Institutionen der Erwachsenenbildung angeboten werden, die den Bereich „Vorbereitung für Paare auf das Leben mit kleinem Kind“ zum Thema haben. So hat die „Deutsche Familienstiftung“ einen „Elternführerschein“ entwickelt und bildet Fachleute (z.B. Hebammen, Kinderkrankenschwestern und -pfleger) aus, die wiederum dann bundesweit Kurse für Eltern anbieten. Kurse, die auf Elternschaft vorbereiten, zu besuchen, kann auf vieles realistisch einstimmen, so dass das Paar sich besser ausgestattet fühlt und manches „eingeübt“ oder ausgehandelt hat, bevor das erste Kind geboren ist und das Paar die Tage und Nächte mit dem Baby dauerhaft teilt.

Welche Angebote gibt es in Ihrer Einrichtung für Paare mit Nachwuchs?

Zuallererst bieten wir Beratung an, um alle sozialen Hilfen, die die Existenz der jungen Familie sichern helfen: Schwangerschafts- und Geburtsberatung, Beratung für den Übergang zur Elternzeit etc. Dazu gehört auch die Vermittlung in das gesamte Netzwerk der Region, wo Eltern andere Eltern kennenlernen und wo sie hilfreiche, unterstützende Dienste finden.

In manchen Beratungsstellen der pro familia wird zusätzlich eine Sprechstunde für Eltern mit unruhigen Babys und Kleinkindern angeboten, um zu mehr Ruhe und Sicherheit im Leben mit kleinem Kind zu finden.

Welche Beratungsstelle der pro familia welche Vielfalt von Angeboten für Schwangere und Paare anbietet, erfahren Sie jeweils in Ihrer Stadt oder Region vor Ort.

Welche Ängste haben werdende Eltern?

Der Gleichzeitigkeit der vielen Anforderungen nicht gerecht werden zu können. – Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass sie alles erdenklich Gute für ihr Kind wollen und ihm keinesfalls Dinge antun wollen, die es seelisch und/oder körperlich überfordern könnten. Im selben Atemzug gönnen sie sich aber kaum noch längere Pausen im Beruf, denn der Druck, hier den Arbeitsplatz oder auch nur den beruflichen Anschluss zu verlieren, lastet auf heutigen Eltern kleiner Kinder ernsthaft schwer. Das Ganze gibt eine stressreiche Mischung – die zu Recht Angst machen kann.

Dazu kommt heutzutage die Angst, vom Partner abhängig zu werden und die Notwendigkeit, die materielle Existenz zu jeder Zeit selbst sichern zu müssen – etwas, was in Zeiten großer individueller Entwicklung und Selbstständigkeit gefürchtet wird. Dass man als Elternpaar eine lebenslange Abhängigkeit voneinander eingeht und dies nicht zu vermeiden ist – sich diesen Umstand klar vor Augen zu führen, ist für viele Paare ernüchternd, aber auch hilfreich, weil er die Realität anerkennt, was es bedeutet, gemeinsam ein Kind zu haben.

Welche Tipps können Sie Eltern geben?

Lesen Sie nicht so viele Ratgeber – besser: Helfen Sie anderen, die schon Kinder haben, einfach ab und zu aus; im Umgang mit Kindern lehrt uns unser Gefühl und unsere Intuition das Wichtigste. Das Nachschlagen, was Eltern tun und lassen sollen, verwirrt die meisten häufig mehr als ihnen zu helfen.

Planen Sie Ruhe und viel Zeit in der Versorgung eines Babys, eines Kleinkindes ein. Kleine Kinder sind viel langsamer und unplanbarer als wir Erwachsene, können auch in aller Regel unserem Zeitmanagement noch nicht nachkommen. Schon mit einem kleinen Kind zu viel auf einmal oder vieles in zu schnellem Tempo machen zu wollen, bringt häufig Stress. Entschleunigen Sie Ihr Leben wo es nur geht.

Schaffen Sie sich zuallererst zügig ein „Netz hilfreicher Freunde“, wenn die eigene Familie weit weg wohnt oder aus anderen Gründen nicht hilfreich sein kann. In vielen Städten und Gemeinden gibt es inzwischen Treffpunkte für Eltern, manchmal auch Elternzentren – dort lernen Sie andere Menschen kennen, mit denen Sie sich verabreden können.

Das Leben mit kleinen Kindern ist dann weniger einsam. Sie können zusammen etwas Schönes unternehmen, und sich in schwierigen Zeiten auch mal gegenseitig die Kinder abnehmen

Vergessen Sie nicht, weiterhin das Leben als Paar zu pflegen und dafür Zeit einzuräumen. Es ist enorm wichtig und erhält die Liebe zueinander. Sorgen Sie bald für einen Babysitter, den Ihr Kind früh kennen lernt und für die nächsten Jahre stundenweise tagsüber oder abends hat. Nur Mut, nicht zuletzt sorgen Sie dann dafür, dass junge Menschen vor dem eigenen Kind schon mal üben können.

Würden Sie unseren Lesern noch gerne etwas mit auf den Weg geben?

Kinder zu versorgen macht – wenn es nicht nur unter Stress und Vielfachbelastung getan werden muss – durchaus viel Vergnügen. Und es öffnet uns die Augen für Elementares im Leben, nicht selten mehr als mancher interessante Job. Gönnen Sie sich den Zauber der ersten Jahre mit Kindern und genießen Sie ihn, er ist – trotz aller Anstrengung – etwas nicht zu Wiederholendes, etwas Besonderes.

Seien Sie mutig und nehmen Sie sich Zeit, trotz oder neben dem Beruf und trotz der Schnelligkeit unseres modernen Lebens. Ich bin sicher, Sie werden die Erfahrung dieser frühen Jahre später nicht missen wollen. Und: Mit kleinen Kindern und ausreichend Zeit treffen Sie nette Leute und sehr oft entstehen lebenslange, beste Freundschaften.

Pflegen Sie, wenn die Kinder spielen oder schlafen, Ihr Dasein als Liebespaar und Ihre Freundschaften. Lesen Sie tolle Romane, anstelle von Ratgebern. Das Leben mit Kindern darf schön und vergnüglich sein. Vertrauen Sie Ihrem Gefühl, Ihren eigenen Erinnerungen und Sehnsüchten aus Ihrer Kinderzeit und Ihren phantasievollen Ideen heute.

Sollte Ihnen ausnahmsweise eher wenig dazu einfallen und sollten Sie meinen, sich doch über Kinder schlau machen zu müssen: Lesen Sie als Ratgeber nur noch sämtliche Bücher von Astrid Lindgren, dann spüren Sie wieder bestens, wie es sich anfühlt, Kind zu sein und wonach sich Kinder sehnen – auch heute noch.

Möchten Sie weitere Information über Ingrid Löbner und ihre Arbeit erfahren, kontaktieren Sie sie unter [email protected] oder besuchen Sie Ihre Homepage www.schreibaby-beratung.de oder www.profamilia.de.

Dieses Interview wurde schriftlich durchgeführt.

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